Aus der Kulturgeschichte der Biene und des Honigs
„Der Gott der Bienen ist die Zukunft “
Maurice Maeterlinck (1862–1949)
Autorin: Adelheid Speyer
Einleitung
Fast jede Kultur bezeugt eine tiefe Verehrung der Menschen für Biene und Honig. Der „Bien“ ist gewissermaßen unsterblich und all sein Handeln zielt auf die Zukunft des Bienenvolkes. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Biene seit jeher als Sinnbild der Unsterblichkeit galt. Dem Zauber der Bienen und des Honigs waren die Menschen schon immer zugetan und weltweit wird auch heute noch in vielen Kulturen und Religionen die Biene als mythisches Wesen angesehen, als heiliges Wesen, das eine Brücke zwischen dem Diesseits und dem Jenseits darstellt und in entsprechenden Mythen und Ritualen verehrt wird, da hinter der Biene und ihrem Honig das den gesamten Kosmos erfüllende Göttliche in besonderer Weise erlebt wurde.
Ägypten
Bienenzucht mit der Apis mellifera lamarckii wurde seit dem 3. Jahrtausend im alten Ägypten betrieben. Ein ägyptischer Papyrus aus dem 12. Jahrhundert v. Chr. erzählt die Entstehung der Bienen: Die Tränen des Sonnengottes Re fielen auf die Erde und verwandelten sich in Bienen, die sich Häuser bauten und in die Blüten flogen. So sollen Wachs und Honig entstanden sein.
‚Nesut-Biti‘: Als symbolträchtiges Tier war es die Biene, die in Unterägypten zum Wappentier des Herrschers aufstieg, während dies in Oberägypten die Binse war. Bei der Vereinigung der beiden Reiche unter Pharao Menes wurde der Name zur Königshieroglyphe, die dem Namen des jeweiligen Pharaos vorangestellt wurde. Wörtlich übersetzt bedeutet ‚Nesut-Biti‘: „Der zur Binse (Oberägypten) und zur Biene (Unterägypten)“ gehört.
Neith: Die Göttin Neith galt einerseits als Mutter des Re, andererseits tritt sie als „Auge des Re“ als seine Tochter auf. Sie als auch die Biene nehmen im Verständnis der Ägypter eine Schutzfunktion ein. Neith bewahrte den Verstorbenen vor Feinden und garantierte seine Wiedergeburt. Sie verteidigte die nächtliche Sonnenbarke und erschien bei der Geburt, um das Neugeborene zu behüten. Schon hier besteht eine enge Verbindung zur Verwendung des Honigs. Ihm wiesen die Ägypter eine Dämonen und Krankheiten abwehrende Kraft zu. Deshalb kam der Honig auch in Zaubersprüchen zum Schutz von Neugeborenen und Kindern zum Einsatz.
Mit Beginn des Neuen Reiches um 1550 v. Chr. intensivierten sich die Tempelkulte und damit die verbundenen Totenopfer, so dass die Honigproduktion entsprechend der Nachfrage gesteigert werden musste. Seit dieser Zeit wurde es notwendig, Bienenvölker in der Nähe der Heiligtümer zu halten, um die Versorgung der Heiligtümer mit dem als Opfergabe benötigten Honig sicherzustellen. Ein Großteil der Imker im Alten Ägypten waren zugleich Priester der Tempel und der sakralen Schatzhäuser. Als solche waren sie rechtlich vor fremdem Zugriff geschützt. Sie waren in einer Art Orden organisiert, der hierarchische Strukturen aufwies. So besaß ein Oberimker die Befehlsgewalt über die ihm unterstellte Gruppe. Sie arbeiteten für die Totentempel in Theben, Abydos, Amarna, Heliopolis und Memphis. Von den Imkern wurde eine Tagesleistung von ca. 70 Gramm Honig gefordert.
Die Honigernte war ein zentrales Thema in der altägyptischen Mythologie und im Königskult. Bereits um 3000 v. Chr. galt Honig als „Speise der Götter“ und als Quelle der Unsterblichkeit. Ein Topf Honig wurde mit dem Wert eines Esels aufgewogen. Bei Ausgrabungen von Königsgräbern kam Honig oft als Grabbeigabe zum Vorschein.
Aufgrund der hochentwickelten Imkerei in Ägypten und aufgrund der zahlreichen archäologischen Funde aus dieser Zeit dachten die Wissenschaftler lange, dass die frühesten Wurzeln der Hausbienenhaltung in Ägypten lägen. Erst bei neueren Ausgrabungen in den 1950er und 1960er Jahren in der heutigen Türkei zeigte sich, dass diese Annahme nicht zutrifft. Die Funde belegen eine wesentlich ältere Hausbienenhaltung. Ihre Ursprünge liegen in den frühneolithischen Dorfkulturen Zentralasiens.
Die alten Ägypter hielten ihre Bienen in aufeinandergestapelten Tonröhren, die mit Nilschlamm verschlossen und anschließend mit einem kleinen Flugloch versehen wurden, das mit dem Finger gebohrt wurde. Nach dem Ausräuchern des Volkes, ohne die Bienen dabei zu töten, entnahm man aus diesen Röhren den Honig. Schließlich versiegelte man den Honig zur Vorratshaltung in speziellen Gefäßen.
Sogar ‚Wanderimkerei‘ haben die Ägypter betrieben, indem sie Bienenvölker auf Nilkähnen zwischen Ober- und Unterägypten zur jeweiligen Tracht transportierten.
Maya
Honig war den Ureinwohnern Südamerikas heilig. Die Verehrung einer Bienengottheit finden wir bei den Mayas und bei den Azteken, welche die stachellose Biene Melipona beecheii, übersetzt ‚Königliche Dame‘, für ihre Honiggewinnung verwendeten. Bei Festen bestrichen sich die Priester die Lippen mit Honig. Die Maya fertigten Abbilder ihrer Gottheiten aus Maismehl und Honig und verzehrten diese während der Feste. Neben der kultischen Bedeutung war Honig auch ein wichtiger Exportartikel. Ein mit Honig hergestelltes Getränk nutzte man im Kult für mystische Erfahrungen und auch als heilende Medizin.
Ah Mucen Cab, übersetzt ‚Honigsammler‘, erscheint in der Mythologie der Maya als Bienengott. Er gehört mit zu dem Kreis jener Gottheiten, welche die Welt erschaffen haben sollen. In der Sprache der Maya ist das Wort für Honig dasselbe Wort wie für Welt. Der Bienengott stieg am Morgen im Osten auf und ging im Westen wieder unter. Sobald der Bienengott die Erde bei seinem Abstieg erreichte, verwandelte er sich in einen schwarzen Panther und durchquerte während der Nacht die Unterwelt, bevor er am Morgen im Osten wieder als Bienengott im Osten aufstieg.
Griechenland
Viele Wortbildungen im Altgriechischen bezeugen den Reichtum an Vorstellungen, welche die Griechen mit Honig, meli, und Nektar verbunden haben.
Neben Bienenhonig kannte man auch ‚Dattelhonig‘ und ‚Sakcharon‘, einen honigartigen Sirup aus einer in Arabien und Indien wachsenden Zuckerrohrart.
Bereits der Lehrdichter Hesiod schreibt um 700 v. Chr. von Bienenstöcken, die Menschen angefertigt haben.
Beziehung griechischer Götter und Göttinnen zu Honig und Bienen:
Zahlreiche griechische Gottheiten des Himmels und der Erde weisen einen Bezug zu Biene und Honig auf. Die gilt bereits für einen Beinamen von Zeus und Dionysos: ‚Meilichios‘, und von Aphrodite: ‚Meilichie‘. Sie galten als Beschützer/in derer, die den Gott/die Göttin mit Honigopfern zu versöhnen versuchten; denn unblutige Opfer wurden oft in Form von Honig und Honigerzeugnissen dargebracht.
- Die Bienengottheit Melissa und ihre Nachfolgerinnen: Aufgrund der erhaltenen Zeugnisse ist es wahrscheinlich, dass es im 2. Jahrtausend v. Chr. eine ‚Honigkultur‘ gegeben hat, die von der späteren ‚Weinkultur‘ abgelöst wurde. Ihren Ausdruck fand sie in der Bienengottheit ‚Melissa‘, die zunächst wie manche andere griechische Gottheit tiergestaltig vorgestellt war. Das minoische Kreta war der Mittelpunkt dieser Kultur. Das Schwanken einzelner Bienengottheiten zwischen Bienen- und Menschengestalt und die Bezeichnung ‚Melissai‘, ‚Bienen‘, für deren Priesterinnen lassen erkennen, dass einzelne Gottheiten noch lange in Tiergestalt verehrt wurden. Ursprünglich dürften zwischen der weiblichen Erdgöttin (Gaia) bzw. der Großen Göttin des Vorderen Orients (unter verschiedenen Namen) und der alten Bienengottheit enge Verbindungen bestanden haben. Die Priesterinnen der Demeter hießen Melissai, ebenso die der Göttin Rhea; die erste Priesterin der Großen Mutter (Mater Magna) galt als Tochter des Gottes Melisseus. Die Fähigkeit zur Weissagung verbindet diese Priesterinnen mit der Pythia in Delphi, also der Priesterin des späteren Gottes Apollon, denn diese hieß gleichfalls ‚Melissa‘ oder auch ‚Delphische Biene‘. An dieser Orakelstätte stand ein kleiner Tempel, den Bienen für Apollon gebaut haben sollen.
- Zeus: Der oberste der griechischen Götter, Zeus, soll nach dem kretischen Zeus-Mythos ohne Honigbienen nicht überlebt haben. Seine Mutter Rhea habe ihn vor seinem Vater Kronos versteckt, da dieser seine Kinder zu verspeisen pflegte, nachdem ihm geweissagt worden war, dass einer seiner Nachkommen ihn vom Thron stürzen werde. In einer Höhle auf dem Berg Ida sollen die darin wohnenden wilden Bienen den Zeusknaben ernährt haben. Nach einer anderen mythischen Erzählung stand das Zeuskind unter dem Schutz des kretischen Königs Melisseos und seiner Töchter Adrasteia / Amaltheia (‚Ziege‘) und Melissa (‚Biene‘). Die beiden Prinzessinnen sollen ihn mit Ziegenmilch und Honig genährt haben. Der griechischen Vorstellung nach gehörten die beiden Schwestern zu den Nymphen. Diese verkörperten bestimmte Naturkräfte. Die wunderbare Ernährung des ausgesetzten neugeborenen Zeuskindes mit Milch und Honig lässt die grundsätzliche Bedeutung des Honigs für den obersten Himmelsgott erkennen. Er galt wohl als der Geber des Honigs, der den Bienen viele Vorzüge verliehen hat.
- Artemis/Selene: Auch sie wurde Melissa genannt, ebenso ihre Priesterinnen. Ein Priester der Artemis wurde anscheinend in Entsprechung zum Namen der Priesterinnen ‚Bienenkönig‘ genannt. Münzen zeigen Darstellungen der Artemis und der Biene. Die Biene war ihr Emblem und das Siegel ihrer Stadt Ephesos. Ihr hat man Honigkuchenopfer dargebracht und ihre Bildnisse wurden mit einer nach Honig duftenden Kleeart, ‚Meliloton‘, bekränzt.
- Hermes: Die Beziehung dieses Gottes zu Honig und Biene lässt sich aus dem Hermes-Orakel am Fuße des Parnass erschließen.
- Aristaios: Den Sohn Apollons und der Nymphe Kyrene namens Aristaios sollen die göttlichen Horen mit Nektar und Ambrosia genährt haben. Er galt als Meister der Bienenzucht, die er von den Musen erlernt haben soll. Auch soll er den Bienenkorb erdacht und das Geheimnis des Honigrauschgetränks gefunden haben. Sein Beiname war u.a. ‚Meliphron‘, das heißt: ‚durch Honigsüße erfreuend‘.
- Dionysos: Er war wohl zunächst der Bienengott der kretisch-minoischen Kultur (2. Jahrtausend v. Chr.). Seine Beziehung zu Bienen und Honig ist viel älter als die zum Wein. Auch Dionysos soll von einer Nymphe mit Honig ernährt worden sein, und auch er galt als Erfinder der Bienenzucht. Das Reich des Dionysos erinnert an das ‚Goldene Zeitalter‘ und auch ihm wurden Honigopfer dargebracht.
- Musen: Die Göttinnen der Inspiration werden oft in ihrer Beziehung zu Honig, Bienen und Dichtern erwähnt. Da die Bienen als musikalisch galten, wurden sie etymologisch irrtümlich auch mit melos in Verbindung gebracht und auch ‚Vögel der Musen‘ genannt.
- Nymphen: Die den Musen verwandten Nymphen hießen bisweilen Melissai, also ‚Bienen‘. Als ‚Brisai‘ lehrten sie Aristaios die Bienenzucht. In einem unterirdischen Heiligtum der Nymphen in Paestum fand man acht mit Honig gefüllte Gefäße, also Opfergaben an die Nymphen.
- Pan und Priapos: Diese Götter wurden um Schutz und Gedeihen der Bienenstöcke angerufen und erhielten deshalb bevorzugt Honigopfer.
Rom
Anders waren die Voraussetzungen in Rom. Diese sind durch den phantasieärmeren römischen Volkscharakter bestimmt. So entspricht bei den Römern im Gegensatz zu den zahlreichen Bienen- und Honiggottheiten der Griechen nur eine einzige Göttin, nämlich Mellona oder Mellonia.
Als Bezeichnung für Honig kennt die lateinische Sprache mel und nectar.
Verwendung von Honig
- Nahrungsmittel: Honig, meist mit Wasser oder Milch verdünnt, wurde bei Griechen, Indern und Germanen schon als erste Nahrung des Kindes genannt (was heute als gefährlich im ersten Lebensjahr gilt, da bei unsauberer Honigernte Botulismus-Bakterien in den Honig gelangen können!). Viele Speisen und Getränke enthielten Honig, um sie zu süßen, ihren Geschmack zu mildern oder um sie haltbar zu machen. Bis zur Einführung von Zuckerrohr durch die Araber im 8. Jahrhundert n. Chr. war Honig das wichtigste Süßungsmittel im Mittelmeerraum. Er begegnet als Bestandteil von Saucen und Backwerk. Myrtenwein, ein likörartiges Getränk, wurde mit Honig zubereitet, ebenso das ‚Oxyporum‘, ein Verdauungsmittel. Die römische Küche kannte ‚Melizomum‘, eine Art ‚Honigbrühe‘. Aus den Zutaten für den Begrüßungstrunk der Kirke für Odysseus und seine Gefährten, nämlich Käse, Mehl, Honig und Wein, entnehmen wir, dass dieses Getränk auch im Alltag vorgekommen ist. Um eine Zutat reicher, nämlich Öl, war das Rezept für den Honigtrank, mit dem der Sieger beim Wettlauf anlässlich der Oschophorien-Feier zu Ehren des Dionysos geehrt wurde.
- Rauschmittel: Bereits die Indogermanen machten sich die Eigenschaft des Honigs, unter bestimmten Bedingungen in Gärung überzugehen, zunutze und bereiteten daraus ein Rauschgetränk. Ein solches war bei den Germanen der Met und bei den Griechen das ‚Melikraton‘. Das Honigrauschgetränk, das in Euphorie und Ekstase versetzte und mit Unsterblichkeitsvorstellungen verbunden war, wurde als ‚göttliches Getränk‘ vor allem im kultischen Bereich verwendet. Es war aber auch im profanen Bereich als anregendes und wohlschmeckendes Getränk begehrt. Man bewirtete damit Gäste, gebrauchte es in der Küche und sogar in der Tierzucht. Honigrauschgetränke sind ihrem Ursprung nach älter als Wein und wurden später von diesem und noch später von Bier verdrängt. Der spätantike griechische Dichter Nonnos berichtet von einem Wettstreit zwischen Aristaios, der den Griechen als Erfinder des Honigrauschgetränkes galt, und dem Weingott Dionysos, bei dem Zeus Dionysos den Sieg zuerkennt.
- Opfergaben und Totenkult: Das Honigopfer wurde meist in Form von Melikraton, einem vergorenen Honiggetränk, als Honigbrei oder als Honigkuchen dargebracht. Opferspeisen und -getränke enthielten Wein, Honig, Wasser und Gerstenmehl oder auch Mehl, Milch, Öl und Honig. Auch vergorener Honig wurde manchen Opferspeisen zugesetzt. Diese unblutigen Gaben konnten ein Sühnopfer für die unterirdischen, die chthonischen, Götter oder ein Dankopfer für die himmlischen, vor allem die olympischen, Götter, sein. Den Gottheiten der Unterwelt und den Toten opferte man nicht nur, um diese zu besänftigen und zu versöhnen, sondern auch von ihnen Segen, also Gaben der Erde, zu empfangen. Kulte mit Honigopfern sind älter als solche mit Weinopfern.
Die Pythagoreer, die gegen Schlachten von Tieren, vor allem von Haustieren waren, ließen Honig als ‚unschuldige Nahrung‘ und als Opfergabe ohne Blutvergießen alleine gelten. Honig als Beigabe ins Grab sollte den Toten einerseits ermöglichen, sich auf der Reise in die Unterwelt zu stärken und Kerberos und die anderen Dämonen der Unterwelt zu besänftigen. Andererseits galten die Toten selbst als ambivalent wirkende, also als Segen und Fluch bringende mächtige Geister, die man um des eigenen Heils willen gnädig stimmen wollte. - Honig in Mysterien und Initiationsriten: Honig diente in Mysterien als Symbol des Übergangs in die jenseitige Welt. Bei den Demeter-Mysterien ist die Bedeutung des Honigs noch aus den Namen der Eingeweihten, ‚Melissai‘, Bienen, zu erschließen. In den Mithras-Mysterien erhielten die Adepten für einen neuen Weihegrad Honig zur Reinigung von Händen und Zunge. Auch die Honiggabe an Neugeborene diente weniger einer Speisung, sondern war vielmehr ein Initiationsritus; durch den Genuss von Milch und Honig wurden die Kinder in die menschliche Gemeinschaft aufgenommen, gleichsam wie bei der Taufe neu geboren. Gleichzeitig sollten sie dadurch auch die göttliche Welt berühren können. Zu Festen, die zugleich religiöse und profane Feste waren, gehörten Honiggebildbrote als Opfergabe und als Festtagsgenuss. Dies ist der Ursprung unseres noch heute so beliebten Lebkuchens.
- Honig in Magie und Medizin: In der Magie diente der als zauberkräftig geltende Honig als Ingredienz bei Beschwörungsopfern für Gottheiten und Totengeister. Honig war nicht nur ein Nahrungsmittel, sondern auch ein Mittel zur Erhaltung der Gesundheit und zum Erreichen eines hohen Alters. Schon damals wurde Essig mit Honig zu ‚Oxymeli‘ vermischt und als gesundheitsfördernd gepriesen. Man verwendete Honig bei Augen- und Ohrenkrankheiten, bei Kopfwunden und Ausschlägen. Honig war eine Grundsubstanz für die Herstellung zahlreicher Arzneimittel gegen verschiedene Krankheiten. Auch die kosmetische Wirkung des Honigs war der Antike bekannt.
- Konservierungs- und Einbalsamierungsmittel: Der hohe Zuckergehalt und bestimmte Enzyme des Honigs bewahren organische Stoffe vor dem Verderben. Alle Arten von Früchten und Nüssen können in Honig eingelegt und so für eine gewisse Zeit konserviert werden. Bei der Verwendung von Honig zum Einbalsamieren von Toten überwiegt die religiöse und kultische Bedeutung. Dieser Brauch war in Babylonien für die Könige üblich und wurde von dort den Griechen bekannt. Der Mythos von Glaukos, dem Sohn des Königs Minos von Kreta, der in ein Honigfass gefallen war und darinnen gestorben ist, aber wieder zum Leben erweckt wurde, ist vor dem Hintergrund dieses Brauchs und der damit verbundenen Unsterblichkeitsvorstellung zu verstehen. Der Spartanierkönig Agesilaos I. soll nach seinem Tod in Honig gelegt worden sein, ebenso Alexander der Große und Kaiser Justinian. Aus naturwissenschaftlichem Interesse wurden auch tote Tiere und manche Kuriositäten in Honig konserviert.
- Honig im Strafvollzug: Da der hohe Zuckergehalt des Honigs Insekten anlockt, wurde Honig auch als Folterwerkzeug und als Hinrichtungsmittel eingesetzt. Man bestrich Füße und Gesicht des Verurteilten mit Honig und setzte ihn der Sonne und den Insekten und in der Folge deren Larven aus. Diese Art der Folter ist auch für christliche Märtyrer bezeugt.
Wirtschaftliche Bedeutung
- Vorkommen: Als bester Honig wurde der Honig aus Attika gerühmt, vor allem aber der Honig vom Hymettos. Aufgrund des Honigreichtums nannten die Athener einen Bezirk ihrer Stadt ‚Melite‘, d.h. ‚Honigsiedlung‘. Geschätzt wurde auch der Honig von Inseln, wie Kalymnos, den Kykladen, Sizilien, Kreta, Zypern und Kos. Als besonders mild wurde der korsische Honig gepriesen. Durch Honigreichtum waren auch die Kanarischen Inseln bekannt. Honig wurde auch in Libyen geerntet.
- Honigsorten: Je nach Zusammensetzung der von Klima und geographischer Lage abhängigen Flora, welche die Bienen vorfinden, unterscheiden sich die Honigarten nach Qualität, Quantität, Geschmack und Farbe.
Unter den Honigsorten stand der Thymianhonig an erster Stelle. Er galt als der beste und süßeste. Genannt wird auch Honig aus Efeu, aus Rosmarin, aus Heidekraut und aus Melisse.
- Ernte: Die Zeit der Honigernte, mellatio, dauerte „vom Aufgang bis zum Untergang der Plejaden“. Es gab Frühjahrshonig, Sommerhonig – vorwiegend aus Thymian mit der höchsten Qualität – und Herbsthonig aus der Heide, der im Allgemeinen am ergiebigsten war. Auch von giftigem Honig ist die Rede, den man angeblich zu militärischen Zwecken eingesetzt hat. Honiggewinnung war ein wichtiger und lohnender Zweig der Landwirtschaft und wurde sogar für Ödland empfohlen. Auch der Beruf des Honighändlers ist bezeugt. Der Jahresertrag pro Bienenstock lag umgerechnet zwischen 3,5 und 10 Litern.
Besondere Eigenschaften des Honigs
- Herkunft: Die wunderbaren Eigenschaften und die geheimnisvolle Entstehung des Honigs veranlassten vor allem die Griechen, ihn auf göttliches Wirken zurückzuführen. Er galt daher als Geschenk des Himmels sowie als Speise der Götter und der Angehörigen des ‚Goldenen Zeitalters‘. Die Annahme der Göttlichkeit des Honigs entstand nicht zuletzt wegen seiner auffälligen Eigenschaften.
- Farbe: Oft wird die Farbe des Honigs mit Bezeichnungen angegeben, die man für Gold, die Farbe des Göttlichen, verwendet hat. Wenn der Honig, letztlich ein Produkt des Sonnenlichts, vermittelt durch Pflanzen und Bienen, auch Helios und Apollon geopfert wurde, so liegt dies auch an seiner goldenen Farbe.
- Wohlgeruch und Süße: Der Duft und die Süße bringen den Honig in unmittelbare Nähe zu den Gottheiten und dem Götterland, denn in vielen Zeugnissen wird der Wohlgeruch der Götter gepriesen.
- Erhaltende und heilende Wirkung: Neben der nährenden Wirkung hat sich die heilende Kraft des Honigs bei vielen Krankheiten und Verletzungen sowie seine Fähigkeit, organische Stoffe zu konservieren, bewährt. Die Erfahrung, dass Honig ein Lebenselixier ist, machte ihn zur Speise der Götter und der Menschen einer paradiesischen Zeit und zum Symbol des ewigen Lebens.
- Berauschende Wirkung: Gegorener Honigtrank, der zur Ekstase führt, wurde als von einer Gottheit gewirkt erlebt.
Honig in Mythos und Glaube
- Speise der Gottheiten und Gottesfreunde: Honig galt als Speise der Götter. Wenn antike Texte von Nektar und Ambrosia als Speise und Trank der Götter sprechen, dürfte Honig der Hintergrund dieser Vorstellung gewesen sein. Neben dem nährenden Aspekt ist auch der Initiationsaspekt nicht zu verkennen. Denn einzelne ‚Gottesfreunde‘ erhielten in ihrer Kindheit oder in Zeiten außerordentlicher Gefahr auf wundersame Weise Honig. Vor allem waren dies Dichter und Propheten, aber auch Herrscher, Helden und Heroen, später auch christliche Heilige, wie Ambrosius.
- Sinnbild des ‚Goldenen Zeitalters‘ und des ewigen Lebens: Wenn Dichter von paradiesischen Zeiten und Räumen in der Vergangenheit oder in der Zukunft sprechen, verwenden sie gern das Motiv des Honigs: Im ‚Goldenen Zeitalter‘, so wird erzählt, ernährten sich die Menschen von Milch und Honig. Freiwillig gaben Bäume, vor allem Eichen, oder Bäche diese Nahrung. Nach antikem Glauben gehören die Bienen in ihrer friedlichen, von Einheit und Ordnung geprägten Lebensweise zu den letzten Zeugen einer verlorenen glücklichen Zeit. Der von ihnen gesammelte Honig ist sozusagen das Überbleibsel der ‚Goldenen Zeit‘. Auch auf den ‚Inseln der Seligen‘ sind es Eichen, die Honig spenden. Das Reich der Götter, in das die Dichter im Zustand der Inspiration schauen, wird ebenso in diesen Farben geschildert. Dass Honig deshalb im Totenritual eine große Rolle spielte, hängt ebenfalls mit diesen Vorstellungen zusammen.
Da für die Gewinnung von Honig kein Tier getötet und keine Pflanze abgeschnitten werden musste, galt und gilt Honig neben der Milch als ‚unschuldige Nahrung‘. Aus diesem Grund schätzten ihn vor allem die Pythagoreer, die wir als Vegetarier der Antike kennen.
- Honig und Dichtung: Inwieweit der Genuss von bestimmten Honigsorten mit halluzinogenen Inhaltsstoffen oder von Honigwein, Mittel, die einen rauschhaften Zustand verursachen, die Inspiration der Dichter-Sänger-Seher oder Schamanen ausgelöst oder verstärkt hat, ist schwer abzuschätzen. Diese glaubten, in das Reich der Götter sehen zu können, von dort Botschaften zu vernehmen, die sie verkünden sollten. Nach der Geburt oder in früher Jugend soll diese Fähigkeit Einzelnen zuteil geworden sein. Nach dem Vorbild mythischer Erzählungen von Götterkindern, die auf wundersame Weise mit Honig ernährt und mit wunderbaren Gaben beschenkt wurden, berichten Legenden, dass Bienen auf den Mund des Kindes flogen, oder auch, dass Musen Honig brachten, das Kind mit Honig nährten und ihm so seherische Kraft verliehen. Der Zusammenhang von Honig und Prophetie ergibt sich auch aus griechischen Orakelstätten und deren Priesterinnen, den ‚Melissai‘. Als der Wein das Honigrauschgetränk verdrängt hatte, ging allmählich der ursprüngliche Zusammenhang des Dichters mit dem Honig verloren. Stattdessen wurde die Sammeltätigkeit der Bienen als Vergleichspunkt mit der Arbeit des Dichters betont. Dichter und Dichterinnen bezeichneten sich als Bienen oder wurden als solche bezeichnet. Entsprechend dazu konnte das Lied oder das Gedicht, die ‚Frucht‘ der Arbeit, mit Honig verglichen werden.
Naturwissenschaftliche Beobachtungen
Die Entstehung des Honigs blieb lange Zeit ungeklärt und erschien äußerst geheimnisvoll. Erst allmählich setzte sich eine naturwissenschaftliche Deutung gegenüber den mythischen Herkunftserklärungen durch. Die wohl verbreitetste Ansicht war bei vielen, dass Honig aus der Luft komme, wobei die mythische Vorstellung, Honig sei ein Geschenk der Götter und falle vom Himmel, nachwirkte. Man meinte, Honig falle in der warmen Jahreszeit als eine Art Tau vom Himmel. Der auf Blumen und manchen Bäumen beobachtete Honigtau wurde gleichfalls als aus der Luft, also aus der göttlichen Himmelssphäre, kommend angesehen. Im nordischen Mythos begegnet die honigträufelnde Weltesche Yggdrasil. Honigbelag auf manchen Bäumen, wie auf Linden, verursacht durch Ausscheidungen von Läusen oder Absonderungen von Blättern bei bestimmten Wetterbedingungen, hat zu der Vorstellung von honigtriefenden Eichen des ‚Goldenen Zeitalters‘ geführt. Die Biene galt als Sammlerin des Honigtaus. Eine Ahnung der wirklichen Zusammenhänge dürfte aber doch gefunden worden sein, wenn von einem Ferment der Bienen bei der Honigentstehung gesprochen wurde.
Die Biene gewinnt ihren Honig aus Blütennektar bzw. aus süßen Pflanzensäften – dazu gehört auch der von verschiedenen Läusen ausgeschiedene Honigtau – in ihrem Honigmagen unter Zusatz eines enzymhaltigen Sekrets ihrer Kopfdrüse erzeugt. Honig aus den Waben eines Bienenvolkes dient seit dem Altertum sowohl als Nahrungs- als auch als Süßungsmittel. Honig wilder Bienen als Nahrung für den Menschen wurde aus hohlen Bäumen oder Felshöhlen gesammelt, hauptsächlich aber, und das schon sehr früh, durch gezielte Bienenzucht gewonnen.
Bugonie: Dieser Ausdruck bezeichnet die in der Antike, im Mittelalter und noch in der frühen Neuzeit verbreitete mythische Vorstellung, dass aus dem verwesenden Körper eines toten Stieres von selbst ein Bienenvolk und auch andere Insekten entstehen könnten. Der Grund für diese weit verbreitete falsche Annahme lag wohl zum einen in der Beobachtung, dass Kadaver oft von an Bienenlarven erinnernden Maden zersetzt werden, und zum anderen in der Beobachtung, dass Kadaver oft von der Mistbiene umschwirrt werden, die der Honigbiene sehr ähnlich ist.
Literatur und Quellen
Im ‚Reallexikon für Antike und Christentum‘ ist unter dem Stichwort ‚Honig‘ ein Artikel zu finden, den ich hier – befreit von Quellenangaben und angegebener Literatur – lesbar gemacht habe:
A. Sallinger / O. Böcher, Artikel Honig: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. 16 (1994) Spalte 433-473.
Wikipedia s. v. ‚Honig’:
https://de.wikipedia.org/wiki/Honig
Wikipedia s. v. ‚Imkerei im Alten Ägypten‘:
https://de.wikipedia.org/wiki/Imkerei_im_Alten_%C3%84gypten
Wikipedia s. v. ‚Ah-Muzen-Cab‘:
https://en.wikipedia.org/wiki/Ah-Muzen-Cab
Wikipedia s. v. ‚Der Bienengott Ah Mucen Cab‘:
https://www.bienenzuchtverein-sulzbach-rosenberg.de/fileadmin/daten_40812/Bienengott.pdf
Weschka, Der Mythos der Biene. Bienen im antiken Griechenland:
https://mint-zirkel.de/wp-content/uploads/2020/08/SekII-Der-Mythos-der-Biene.pdf
Mein Leben mit Bienen:
https://www.neuenhofer.de/guenter/bienen/
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